Fachkräftemangel? Nein, danke!

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Wie steht es derzeit um den Arbeitsmarkt in Bayerisch-Schwaben? Die Teilnehmer:innen des Round Table zur Themenwoche „Karriere“ setzten sich unter der Moderation von Lisa Graf mit dieser und weiteren Fragen intensiv auseinander.

Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender und Deutscher Bundesminister für Finanzen, sagt in seiner Rede auf dem 75. Ordentlichen Bundesparteitag: „Unser Arbeitsmarkt bremst gegenwärtig das Wachstum. Wenn Menschen fehlen als Fach-, Führungs- und Arbeitskräfte, dann können Aufträge nicht abgearbeitet, gar nicht angenommen werden.“ Wie können Firmen jetzt aktiv werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken? Klar ist, dass sich sowohl die Ansprüche der Bewerber:innen als auch der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren rasant gewandelt haben. Beim Round Table im Rahmen der Themenwoche „Karriere“ der Augsburger Allgemeine und ihrer Heimatzeitungen trafen sich Fachexpert:innen, um ihre Perspektiven auf die gegenwärtige Situation zu teilen. Die Teilnehmer:innen kamen in der VMM MEDIENAGENTUR in der Augsburger Innenstadt zusammen, um unter der Moderation von Lisa Graf miteinander ins Gespräch zu gehen und Lösungsperspektiven aufzuzeigen.

Arbeit ist mittlerweile für viele Menschen mehr als nur eine reine Notwendigkeit, um die eigene Existenz finanziell abzusichern. Stattdessen geht es heutzutage darum, einer sicheren Tätigkeit nachzugehen, die eine ausgeglichene Work-Life-Balance schafft und Entwicklungspotenziale bietet. Ein Job mit Purpose ist gerade die Forderung vieler junger Personen, wie auch Otto Knauer von der Katholischen Jugendfürsorge als Gesamtleiter des Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrums Sankt Elisabeth weiß: „Sie wollen ergründen, was ihre Arbeit ihnen selbst und der Gemeinschaft bringt. Zwischen der Führungskraft und dem Personal finden vermehrt Aushandlungsprozesse statt, um die Arbeitsbedingungen festzulegen.“ Arbeitgeber müssen sich nicht nur attraktiv auf dem Arbeitsmarkt präsentieren, sondern gleichfalls auf das einzelne Individuum und dessen Gefühls- sowie Lebenswelt eingehen. „Als Arbeitgebende müssen wir heute flexibler denn je sein“, unterstreicht Werner Müller, Leitung HR-Management der Mediengruppe Pressedruck. „Wir müssen uns auf die Bedürfnisse aller Mitarbeiter:innen einstellen – egal, ob alt oder jung. Für jede Lebensphase sollten wir die richtigen Maßnahmen schaffen, sonst verlieren wir die Leute!“

Wichtig ist für Matthias Schmid, Gesamtleiter Werbevermarktung und Mitglied der Geschäftsleitung der Augsburger Allgemeine, ebenfalls, dass Firmen die Bewerbungsprozesse transparent gestalten und Erwartungshaltungsmanagement betreiben: „Je klarer und präziser Jobprofile formuliert sind und je offener mit den Kandidat:innen während der Vorstellungsgespräche umgegangen wird, umso größer ist der Erfolg auf eine Einstellung.“ Dieses Thema ist auch in einer Branche besonders präsent. Konrad Rebholz, Vizepräsident und Berufsbildungsausschuss-Vorsitzender der Handwerkskammer für Schwaben, hat im Handwerk die Erfahrung gemacht, dass Unsicherheiten und Falschinformationen das Recruiting beeinflussen: „Es kursieren immer noch klischeehafte Vorstellungen über das Handwerk, die gar nicht zutreffend sind. Es ist ein modernes Berufsfeld mit vielfältigen Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten.“

Ein solides Fundament

Nicht nur die Fachkräftesuche ist für viele Unternehmen eine Herausforderung, sondern auch die langfristige Bindung dieser. Aber wie gelingt das am besten? Gianluca Crestani, Geschäftsführer der Roman Mayer Logistik Group, hebt einen Aspekt hervor, den alle Expert:innen des Round Table als bedeutsam ansehen: „Neben der finanziellen Seite ist eine authentische Unternehmenskultur entscheidend, um Mitarbeiter:innen langfristig zu halten. Diese wird immer von der obersten Führungsriege geprägt. Gleichzeitig tun Arbeitgeber gut daran, allen Mitarbeiter:innen mit Wertschätzung und Respekt zu begegnen.“ Knauer ergänzt, dass hierbei sogar Unterstützung hilfreich sein kann, um Veränderungsprozesse anzustoßen: „Mit einem internen oder externen Coach lassen sich Mitarbeiter:innen an die gewünschte Kultur heranführen – und das sowohl fachlich als auch menschlich.“

Aber auch die Führungskräfte sollten kontinuierlich an sich selbst arbeiten. Schließlich zählen nicht nur Erfahrungswerte und Fachexpertise, sondern auch emotionale Softskills wie Empathie und Kritikfähigkeit. „Führungskräfte müssen auf neue Entwicklungen vorbereitet sein, um die Probleme und Bedürfnisse ihrer Angestellten zu verstehen, flexibel zu reagieren und individuell zu behandeln“, fasst Stefan Schweitzer, Kaufmännischer Leiter bei der GEDA GmbH, zusammen. „Seit 2012 haben wir daher einen Individual-Psychologen im Team, der führende Mitarbeiter:innen auf die Praxis vorbereitet.“

Leitende Kräfte stehen täglich unter hohem Druck. Sie müssen in kurzer Zeit schnell viele Entscheidungen treffen – und sich der möglichen Konsequenzen bewusst sein. „Die hohe Kunst besteht darin, Mitarbeiter:innen spezifisch zu führen“, berichtet Crestani. „Das bedeutet, sich auf Menschen einzulassen und dabei Selbstreflexion zuzulassen.“ Das sind wichtige Teile eines modernen Führungsstils, um die Entwicklungspotenziale der Angestellten zu fördern. „Das Verständnis von Leadership hat sich gewandelt“, ergänzt Müller. „Es geht schon lange nicht mehr darum, eine einzige Richtung vorzugeben, der sich alle unterordnen müssen.“ Vielmehr liege der Fokus darauf, sich Zeit für die Belegschaft zu nehmen und regelmäßiges Feedback zu erteilen. Das allein zeige Wertschätzung und würde binden.

In den direkten Dialog treten

Bei all diesen Veränderungen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmer:innenseite gebe es jedoch ein wesentliches Kernelement zu beachten: „Kommunikation ist der Schlüssel, um allen gleichermaßen gerecht zu werden“, hebt Schmid hervor. „Hieraus ergeben sich erst die Themen, die angepackt werden müssen und gegebenenfalls Unterstützung benötigen.“ Eine offene und ehrliche Gesprächskultur wirkt sich positiv auf das Arbeitsklima und auf den Ruf des Betriebs aus. „Dazu gehören beispielweise auch Befragungen der Mitarbeiter:innen, um Selbst- und Fremdbild abzugleichen“, bemerkt Prof. Dr. Erika Regnet, Professorin für Personalmanagement an der Technischen Hochschule Augsburg „Auch ein Blick auf die gängigen Firmen-Bewertungsplattformen im Internet lohnt sich. Wenn es dort nur eine Weiterempfehlungsrate von rund 40 Prozent gibt, sollten Unternehmer:innen interne Handlungsmaßnahmen ergreifen.“

Ausbildung neuer Arbeitskräfte

Damit Unternehmen allerdings weiterhin neue Fachkräfte einstellen können, müssen diese erst einmal ausgebildet werden. Mit einer dualen Ausbildung oder einem (dualen) Studium legen junge Menschen den ersten Grundstein ihrer Karriere. „Aufgrund des demografischen Wandels werden uns allerdings weniger junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“, sagt Dr. Christian A. Fischer, Abteilungsleiter Ausbildung bei der Industrie- und Handelskammer Schwaben. Folglich sei ein frühzeitiges Ansetzen bei Kindern und Jugendlichen unausweichlich, um ihnen die Bedeutsamkeit der eigenen Zukunft zu vermitteln. „Der Wunsch nach einer Berufung sollte bereits im Kindesalter durch die Eltern und deren Grundwerte geformt werden“, bekräftigt Schweitzer.

„Auch in den Schulen müssen die Schüler:innen umfassend auf das Berufsleben vorbereitet werden“, geht Fischer einen Schritt weiter. „Das betrifft nicht nur die Berufsorientierung, sondern auch die Vermittlung von grundsätzlichen Kompetenzen, wie beispielsweise Pünktlichkeit oder ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten.“ Damit das gelingt, sei es essenziel, dass Unternehmen und Ausbildungsbetriebe sowie (Fach-)Hochschulen miteinander kooperieren. Ein Musterbeispiel für ein solches gemeinsames Engagement sei der „Tag des Handwerks“. „Dieser findet seit zwei Jahren an allen bayerischen allgemeinbildenden Schulen statt“, erklärt Rebholz. „Dabei können Schüler:innen einen Tag lang in das Handwerk reinschnuppern. Bei Projektarbeiten in den Betrieben, Vorträgen oder Betriebsbesichtigungen lernen sie die Branche näher kennen. Der Erfolg dieses Projekts ist wirklich bahnbrechend.“

Eine ausgeglichene Balance kreieren

Neben der jüngeren Generation ist aber auch die ältere für den Arbeitsmarkt unentbehrlich, da sie langjährige und wertvolle Erfahrungswerte vorzuweisen hat. „Viele ältere Arbeitnehmer:innen beklagen sich allerdings darüber, dass die Jüngeren mehr Vorzüge genießen würden“, sagt Chiara Wacker, Brand Consultant bei Vindelici Creative. „Unterschiedliche Generationen bedeuten unterschiedliche Auffassungen von Wertschätzung.“ Arbeitgeber müssen für Ausgeglichenheit sorgen und über gemeinsame Gespräche herausfinden, was die Alteingesessenen wirklich brauchen. Samuel Krebber, General Manager bei Ritter, part of Avantor, erlebt in seinem Arbeitsalltag ebenfalls ein vorhandenes Gefälle: „Sei es ein Arbeitshandy oder die Finanzierung des Führerscheins – bei jüngeren Mitarbeitenden sind solche ‚Kleinigkeiten‘ starke Gründe, die den Job lobenswert machen. Dagegen liegt bei Älteren der Fokus eher auf Weiterentwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens.“

Dennoch stellt der Generationenunterschied für die Teilnehmer:innen des Round Table kein Hindernis dar. Jung und Alt können einiges voneinander lernen, wie Wacker fortfährt: „Beim Reverse Mentoring geben die jungen Menschen ihr Wissen an ältere und/oder hierarchisch höhergestellte Arbeitskolleg:innen weiter. Einige unserer Auszubildenden zeigen beispielsweise Marketingmanager:innen, wie man ein gutes TikTok-Video erstellt.“ Christine Neumann, Projektleitung Regionalmanagement Gesundheitswirtschaft und Fachkräfte bei der Regio A³, ist sich genauso der fruchtbaren Synergien bewusst: „Die jungen Leute sind mit Smartphone und Social Media aufgewachsen. Sie bringen andere Kompetenzen mit, die sich im Unternehmen und in der Belegschaft gewinnbringend integrieren lassen.“

Der Austausch zwischen den Beschäftigten gelingt am erfolgreichsten im persönlichen und täglichen Kontakt. Dabei werden neue Arbeitsformen wie Mobile Office und Remote Work immer beliebter. Sie bergen aber auch Beeinträchtigungen für das Miteinander, wie Regnet erläutert: „Persönliche Probleme meiner Mitmenschen nehme ich eher wahr, wenn ich sie sehe und mit ihnen in Kontakt trete. Remote Work kann Menschen vereinsamen lassen, die Firmenkultur ist dadurch für die oder den Einzelne:n weniger wahrnehmbar.“ Begegnungsräume im Betrieb, abteilungsübergreifende Projekte und abwechslungsreiche Events fördern hingegen das Gemeinschaftsgefühl.

Andere Umstände, andere Behandlung?

So vielfältig wie die Bewerber:innen auf eine ausgeschriebene Stelle sind, so verschieden sind auch ihre Lebenshintergründe. Besonders auch Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderung sollten optimal in den Arbeitsmarkt integriert werden. Das Stichwort lautet daher: Chancengleichheit. „Mitarbeiter:innen mit Migrationshintergrund haben beispielsweise mit Sprachbarrieren zu kämpfen, die firmeninterne Prozesse erschweren können“, sagt Krebber, in dessen Unternehmen 100 Leiharbeiter:innen beschäftigt sind. „Wir nutzen diese Gelegenheit und setzen Teammitglieder mit speziellen Sprachkenntnissen als Tutor:innen ein.“ Krebber und Knauer verweisen zudem auf die Unterstützungsangebote der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgebende und der Agentur für Arbeit. Betriebe können sich dort beraten lassen und an finanziellen Förderprogrammen teilnehmen. So lassen sich Menschen mit ihren individuellen Lebenssituationen noch besser in die Firma integrieren.

Der Round Table hat deutlich gezeigt: Arbeitgebende müssen sich dem Wandel der Zeit beständig anpassen, flexibel bleiben und neue Wege gehen. Ansonsten verlieren sie auf dem Arbeitsmarkt und bleiben auf der Strecke zurück. Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion und körperliche Voraussetzungen sind keine Gründe für eine unterschiedliche Behandlung. Am Ende zählt nur, dass Bewerber:innen die zu besetzende Position im Unternehmen mit ihrer Leistung gut ausfüllen. Und die Mitarbeiter:innen? „Sie wollen ein gutes Gefühl bei ihrer täglichen Arbeit verspüren und Bestandteil einer wertschätzenden Unternehmenskultur sein. Sie wollen auch einmal über den Tellerrand hinausschauen dürfen und sich in ihren Bedürfnissen verstanden fühlen“, lautet das Resümee von Neumann zum Ende der Veranstaltung.

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